EFB-Kolloquium 2024

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Werkstoffe und Technologien im Trilemma des radikalen Wandels: Mobilität – Funktionalität – Umwelt

Stärker noch als beim EFB-Kolloquium 2023 rückten bei der Jubiläumstagung der EFB die Lösungen zur E-Mobilität und Digitalisierung in den Vordergrund. 150 Fachleute verfolgten am 15. Und 16. April in Würzburg die spannenden Vorträge und diskutierten die vorgestellten Techniken.

PM-Saal
EFB-Kolloquium in Würzburg. Die Vorträge können über den EFB-Shop bezogen werden.

Für die Käufer eines E-Autos sind Kosten, Sicherheit, Reichweite, CO2 Footprint und die Fahrerfahrung wichtige Kriterien.
Auch wenn es schien, als wäre mit der E-Mobilität das Thema Leichtbau passé, so wirkt sich das Gewicht des Fahrzeugs auf die Reichweite der Batterieleistung, den Bremsweg und die Auslegung von Crashelementen aus.
Dann stehen sich Stahl und Aluminium wieder gegenüber.

Die Decarbonisierung der Werkstoffe

Bei der geforderten CO2-Reduzierung richtet sich der Blick der OEM inzwischen bereits auf die nachhaltige Produktion der Werkstoffe und die End-of-Use-Bilanz ihrer Produkte.
Für die Strukturbauteile wird also weiterhin hoch und höchstfester Stahl verwendet.

Volkswagen: Neue Wege in der Verarbeitung von Aluminium

Einen großen Gewichtsvorteil bringen die hang-on parts aus Aluminium, wie sie VW beim ID7 als Türen und Klappen verwendet, aber auch der Ersatz von Fügeteilen wie Halbhohlstanznieten durch Aluminium-Punktschweißen mit asymmetrischer Kappengeometrie.
Das Verbinden von leichterem Aluminium ist allerdings aufwendiger als Punktschweißen mit Stahl. Außerdem ist die Herstellung schon grundsätzlich mit mehr CO2 belastet. Erst, wenn es gelingt, grünes Aluminium einzusetzen, reduziert sich der CO2-Footprint um 60 %.
Zum Fixieren der gefalzten Teile bis zur Klebstoffaushärtung verzichtet VW auf einen zusätzlichen Karosseriebauofen und setzt Microfixing mit feinen Nadeln ein und spart Investitionen, Flächenbedarf, Energie und Betriebskosten ein.
Außerdem arbeitet VW daran, neue Verfahren mit Standardbetriebsmitteln umzusetzen, z.B. werden mehrere symmetrische Teile in einem Hub hergestellt.

Schuler: Energiesparendes Warmumformen von Aluminium

Aluminium bleibt weiterhin das Leichtmaterial der Wahl, aber das Augenmerk wird verstärkt auf den CO2-Footprint in der Herstellung, Verarbeitung und Verbindung von und mit Aluminium gelegt. Schuler hat zusammen mit dem Imperial College London ein neues Verfahren für das Warmumformen von Aluminium-Bauteilen entwickelt: FAST Fast Light Alloys Stamping Technology.
Das Material wird bei 300°C für 4 Sek schnell erwärmt, umgeformt und abgekühlt. Die Alterung entfällt.
Dieses neue Verfahren kann auf einer kleinen Anlage mit 75 % weniger Platzbedarf gefahren werden. Es erreicht eine gute Umformbarkeit bei 300 bis 350°C bei einer gleichzeitigen Energieeinsparung bis zu 80 %. Die Endfestigkeit wird nach der Lackierung erreicht. Es kann auch ein Schneidprozess integriert werden. Insgesamt dauert ein Zyklus 10 – 16 Sek statt 200 Sek.

Kirchhoff Automotive und Benteler Automobiltechnik: Neue Ansätze im Crashmanagement

Um im Wettbewerb mitzuhalten, müssen E-Autos günstiger werden. Sie werden z.B. ihr Design dahingehend verändern, dass der Vorderwagen, der früher den Verbrennungsmotor aufnahm, nun kürzer wird. Das hat unmittelbare Auswirkungen auf das Crashverhalten, denn ein kurzer Vorderwagen ohne Motor kann weniger Aufprallenergie aufnehmen. Crashmanagementsysteme müssen auf diese Veränderungen angepasst werden.
Die Herausforderungen liegen an den Anschlussstellen des Trägers zu den Crashboxen. Durch die Entfestigung des Gefüges beim Schweißen können hier Risse entstehen bis zum Versagen in hoch belasteten Bereichen.

Kirchhoff zeigt eine Lösung in Stahl, bei der vorverzinkte kalt umgeformte Stahlträger eingesetzt werden, um Schweißstellen zu vermeiden. Stahl ist günstiger, fester, steifer, hat gute Umformeigenschaften und ist weltweit verfügbar.
Für eine Variante aus Aluminium hat Kirchhoff ein innovatives Design mit einem crashoptimierten Querschnitt entwickelt. Dieser besteht aus drei Zonen mit unterschiedlichen Funktionen und ist mit variablen Wanddickenverläufen gestaltet, um maximalen Leichtbau zu gewährleisten. So können die Wärmeeinflusszonen entlastet und eine gleichmäßigere Lastverteilung ermöglicht werden.
Jedoch ist diese Lösung im Vergleich zum Einsatz von Stahl erheblich teurer.

Benteler geht einen anderen Weg: das gesamte CMS wird in einem Stück ohne Schweißnähte auf der Presse hergestellt, indem man aus dem wärmeunterstützt umgeformten ultrahochfesten Aluminiumextrusionsprofil die Crashboxen biegt.

Fraunhofer IWU: Alternative Werkstoffe

Der Zwang zur Dekarbonisierung rückt alternative Werkstoffe aus Naturfasern wie Zellulose, Hanf, Jute, Holz oder Gras ins Blickfeld.
Ein alter Bekannter „Vulkanfiber" aus dem frühen 20. Jh. ist ein Kunststoff aus Zelluloseabfällen, der in Zinkchlorid getränkt, zu COTTONID wird. Er ist auf Pressen formbar und reduziert den CO2-Eintrag des Prozesses. Das Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik in Chemnitz hat dazu eine Reihe von Forschungsprojekten angeschoben.

Mendritzki Kaltwalzwerk: Mikromagnetische Werkstoffprüfung

Neben dem Austausch von Werkstoffen ist die Beimischung von Fertigungsabfall ein Aspekt der Nachhaltigkeit. Bei den empfindlichen Fertigungsprozessen kommt es manchmal zu dem Problem: Das Material verhält sich anders als die vorherige Charge, obwohl nach Spezifikation geprüft und geliefert wurde. Mendritzki ist dem auf den Grund gegangen.

PM-Mendritzki
Dr. Peters, Mendritzki Holding

Die typische Qualitätsprüfung (Chemisch, Zugversuch, Härte, Gefüge) ist nicht ausreichend.
Eine intensivere Qualitätsprüfung (Fließverhalten und mehrachsige Spannungszustände, Textur, Eigenspannungssituation) ist in der Regel im Produktionsalltag technisch und finanziell nicht umsetzbar. Und man kann nicht alle Gefügeeigenschaften an jeder Stelle abprüfen.
Bei Mendritzki nähert man sich von einer anderen Seite: Mechanisches Verhalten und Gefüge beeinflussen die magnetischen Eigenschaften des Gefüges. Diese reagieren empfindlich auf Gefügeänderungen.
Das Testverfahren „Mikromagnetische Messung" durch Wirbelstrommessungen liefert Signale, die vom Empfänger entschlüsselt werden müssen. Es entsteht ein magnetischer Fingerabdruck direkt beim Coil und dann nach dem Einrichten vor der Einstellung im Werkzeug. Die große Datenmenge erfordert den Einsatz von KI und bringt näher ans Ziel, Prozessausfälle zu vermeiden.

Die Green-Steel-Technologien gehen von C-basierter auf H-basierte Herstellung über. Doch muss zumindest Eigenschrott eingearbeitet werden. Damit ändert sich der Raffinationsgrad. Die Spezifikationsgrenzen müssen daher künftig noch enger eingehalten werden. Außerdem verändert sich mit dem Neueinsatz von Schrott in bereits mit Schrott angereichertes Material die Zusammensetzung schleichend und mehr Schwankungen in den Eigenschaften treten auf.

Die Daten auf dem Weg in die KI

Auf vergangenen EFB-Kolloquien wurden Wege aufgezeigt, wie und an welchen Stellen an der Maschine bzw. im Prozess Daten erhoben werden können. Doch die schiere Menge an gesammelten Daten stellte ein Problem dar. Die Rechenleistung ist inzwischen gut beherrschbar, wie einige Vorträge zeigten:

Miele: KI sucht Kratzer und Beulen

Im Bereich der Weißen Ware spielt die makellose Erscheinung der Produkte bei den Endkunden eine wichtige Rolle. Miele stellt z.B. an die Vorderwand der Waschmaschine höchste Anforderungen. Das beschichtete Frontteil von ca. 0,5 qm Größe mit Radien und Ausformungen wird auf eigenen Pressen mit 14 Hüben/Min gefertigt. Das bedeutet, dass in 4,3 Sek Oberflächendefekte bis 0,1 mm erkannt werden müssen.
Zur Bewältigung dieser Aufgabe wird KI eingesetzt. Mehr als 20 Kameras in unterschiedlichen Winkeln und Beleuchtungssystemen scannen die Oberfläche und liefern pro Bauteil 2,7 GB Daten.
Um mit den Daten zu arbeiten, müssen sie auf das Lernen vorbereitet werden. Noch ganz analog wurde bei Miele eine einheitliche Fehlerklassifizierung (Klassen, Kontrast, Größe, Position) vorgenommen und in einer „Musterkarte" für das System festgehalten. Die KI wird künftig in der Lage sein, Materialabweichungen, zufällige Schäden oder systematische Defekte zu erkennen und zu bewerten.

Der Wunsch, nicht erst vom Prototyp auf den Prozess zu schließen, treibt viele Unternehmen um. Die Entwicklung geht heute vom Engineering > Werkzeug > Bauteil > Lack > Inspektion. Korrekturschleifen sind teuer und zeitintensiv. In der Fertigungsstraße erfassen verschiedene Kameras und Sensorsysteme bereits laufend das Bauteil und die Prozesse und liefern eine große Datenmenge.

BMW: Data Driven Engineering

Aber, was ist, wenn die gesamte Entwicklung simuliert werden könnte, fragte man sich bei BMW: Engineering > virtuelles Bauteil > virtueller Lack > virtuelle Inspektion, als Data Driven Engineering bezeichnet.

PM-BMW
Dr. Strauß-Ehrl, BMW

Der Einsatz von KI-Methoden in frühen Entwicklungsphasen ermöglicht, Oberflächenfehler schon in der virtuellen Welt zu erkennen und reduziert Änderungskosten in der Hardware. Man verbindet die Simulation des Tiefziehvorgangs mit der Rückfederung und der Kompensation des Aufsprungs und berechnet so elastische Werkzeuge und Pressen.
Auch das Verbinden gemessener Netze z.B. nach der Kaltumformung mit dem CrashNetz gibt eine deutlich hochwertigere Prognose des Crashverhaltens in der Simulation. Der Trend geht dahin, von der Simulation des Einzelteils zu Systemen zu kommen, mehr Komplexität zu verarbeiten und größere Modelle abzubilden.
Für BMW ist die Zukunft Lean – Green – Digital, mit

  • effizienten Prozessen,
  • verantwortungsvollem Ressourceneinsatz (z.B. Rechenleistung statt Tryout),
  • Vermeidung von Qualitäts-Schleifen
  • dem Fokus auf Materialeffizienz
  • der KI-Nutzung im Engineering
  • Data driven Engineering

Hexagon Manufacturing Intelligence: Smart Assembly Shop

In die gleiche Richtung geht auch Hexagon Das Ziel ist zeroPrototyping und am Ende auch die Montage zu simulieren.
Statt verschiedene Bauteile einzeln zu simulieren, sollen im Smart Assembly Shop verschiedene Softwarearten zusammen das gesamte System simulieren. Das bietet sich für die Großbauteile aus mehreren Elementen an, um Toleranzen auszugleichen: Wenn Teil A zu groß ist, und Teil B zu klein, kann Teil C angepasst werden.

Schuler und Gestamp Autotech Engineering händeln die Großbauteile

Schuler sieht im digitalen Laser-Platinenschnitt großes Potential. Die programmierbare Konturanpassung kann digital und individuell eingestellt werden, so dass die Bereitstellung von Werkzeugen entfällt, was eine enorme Kosten-, Anlagen- und Flächenersparnis bedeutet. Das begünstigt auch die Bearbeitung von Prototypen oder Kleinserien.
Dazu ist eine umfangreiche Parameteraufnahme und Prozessanalyse notwendig, die Daten zum Material, Prozess und zur Platine liefern, die bei der Digitalisierung der Gesamtanlage oder z.B. der Koordination von Großbauteilen wie Türseitenringen (DoorRings) Anwendung finden.

Die OEM sind bemüht, die Montagezeiten zu reduzieren, indem die Anzahl der Bauteile reduziert wird. Das führt zu Großbauteilen wie z.B. DoorRings oder Doppel-DoorRings. Gestamp nennt seine Lösung „Gigastamping".
In nur einem Hub werden mehrere Einzelteile integriert, auch verschiedene Werkstoffe. Ein Bauteil vereinigt mehrere Funktionalitäten. Das spart Material und Montagezeit – und verschiebt die Qualifikation hin zu den Zulieferern. Diese Großbaukomponenten werden nach USA und China zunehmend auch in Europa eingesetzt.
Diese Komplexität stellt die Simulation eines Dopppel-DoorRings (umfassend A-B-C-Säule) allein durch die Platinengröße von 220 x x150 cm auf Warmumformpressen vor besondere Herausforderungen. Neben unterschiedlichen Blechdicken der Tailored Welded Blanks müssen überlappende Teile für das Patchwork berechnet werden.

Fazit

Auf dem EFB-Kolloquium zeigte sich, dass die Industrie die Herausforderungen unserer Zeit angenommen hat und bereits Lösungen anbietet. Der Radius hat sich erweitert. Der Blick ist nicht mehr nur auf das Produkt gerichtet, das günstig produziert an die Kunden geliefert wird. Auch die Entstehungsgeschichte des Werkstoffs wird berücksichtigt, Nachhaltigkeit und Wiederverwendung sind ein Thema. So bestimmen CO2-Einsparung und das neue Design des E-Autos die Neuentwicklungen. Immer ausgefeiltere Software und mehr Rechenleistung auf dem Weg in die KI werden in diesem komplexen Umfeld unterstützen.
Das Trilemma aus Mobilität – Funktionalität – Umwelt führt zu spannenden, intelligenten Lösungsansätzen.

 


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